6. Zunftmeister gegen Patrizier

Es gab natürlich mehr Handwerker als Kaufleute, und ihr Anteil am Steueraufkommen der Stadt war nicht gering. Sie festigten den guten Ruf der heimatlichen Erzeugnisse. Aber wer nicht mit „Elle und Waage“ arbeitete, gehörte nicht zur städtischen Oberschicht. Im 13. und 14. Jahrhundert begannen die Zünfte dagegen aufzubegehren. In Köln, Frankfurt, Zürich, Ulm, Augsburg. Es kam zu Aufständen , die dazu führten, dass die patrizischen Verfassungen durch eine Zunftverfassung ersetzt wurden. „Zunftbriefe“ regelten die neuen Stadtverfassungen. Der gerade erwähnte Konflikt zwischen Gewandschneidern und Wollwebern gehört auch in diesen Zusammenhang. Diesen Zwiespalt in der Bevölkerung ließ sich das Stift nicht entgehen. Hier war die Gelegenheit für das Stift, seinen schwindenden Einfluss in der Stadt wieder zu stärken, indem es sich in den Webern einen starken Verbündeten schaffen wollte, um dem städtischen Patriziat, den reichen Kaufleuten, welche die Träger der städtischen Unabhängigkeitsbestrebung waren, einen Hieb zu versetzen. Zwar scheint nicht der damalige Abt Heinrich VI. von Romrod selbst, wohl aber sein Dechant Berthold und der Konvent in den Streit eingegriffen und den Wollwebern, in der Urkunde aus dem Jahre 1321 „die Fleminge“ genannt, kraft ihrer landesherrlichen Gewalt gestattet zu haben, unbeschränkt, wie es scheint, ihre Tuche zu verkaufen. Die Gewandschneider wehrten sich „und bald musste das Stift einsehen, dass es zu weit gegangen war. Wir wissen nicht, was den Konvent zur Einsicht brachte, vielleicht trafen die Tuchherren ihn an seiner empfindlichsten Stelle, indem sie die Steuerzahlungen für die Ausübung des Schnittes einstellten oder kürzten, ... Man einigte sich auf ein Schiedsgericht unter Friedrich von Romrod und Thiele von Bilstein, zwei Männern, die von beiden Seiten auserwählt worden waren. „Wir, Berthold, der Dechant, und der gesamte Konvent des Stiftes zu Hersfeld, bekennen in diesem Brief, dass wir den Krieg, der zwischen uns und den Kaufleuten in Hersfeld wegen des Gewandschnitts gewesen ist wegen der Fleminge, rechtlich und in freundschaftlicher Weise beendet haben durch Vermittlung von unseren Freunden Friedrich von Romrod und Thile von Bilstein, die wir beiderseits dafür ausgewählt hatten. Also wurde beschieden, dass die Kaufleute das Gewand schneiden sollen, wie es von alters her Gewohnheit gewesen ist. Und die Fleminge sollen eine Elle Tuches für sechzehn Pfennig oder darunter und nicht höher (verkaufen dürfen) bis zu dem Jahre, das wir in unserem Brief angegeben haben, das ist vom Tage des Sankt Lullus vier Jahre lang. Und dazwischen sollen die Fleminge uns den Zins zahlen, wie es von alters her Recht gewesen ist. Danach, wenn die vorgenannten Jahre vorbei sind, sollen die Fleminge nicht mehr (Tuche) schneiden (und verkaufen) dürfen.“ („Wir B'told der Dechant, un' der Conuent gemenliche des styftes zu Hsfelt, bekenne' an dyseme briue,daz Wyr des Cryges dye züchen uns , un' den koufluten ist gewest umme den snyt amme gewande zu Hsfelt, von der fleminge wegen, sint rechliche un' fruntliche gescheyden von friderichs wegen von Rumerode unde Thilen von Bylstein unser frunde dye wyr beydersit dar uber gekoren hatten, Also bescheydeliche. Daz dye kouflute sullen snyden gewant also von alder gewonliche ist gewest, un' dye fleminge eyn elle duches umme Sezene pennige oder dar under, un' nicht hoer, zu den iare ‚ also wir en unse briue gegeben han daz ist von sente lulles tage also nu kumet uber vyer iar, un' hy zveschen sullen dye fleminge uns den Cyns vorsteyn also von alder recht ist gewest, darnach wanne dye vorgenante iar us kume', so ensullen dy fleminge nicht me snyden. ...) Den Gewandschneidern wird also weiterhin das alleinige Recht des Schnittes und Verkaufs des Tuches zuerkannt. Nur um die Niederlage des Stifts ein wenig zu verschleiern, wird den Wollwebern der Verkauf ganz billiger Stoffe für die Zeit von vier Jahren bewilligt. Dafür müssen sie die Steuer der Gewandschneidergilde tragen. In den folgenden Jahren müssen sich Wollweber und Kaufleute wohl im gemeinsamen städtischen Interesse geeinigt haben, denn die gemeinsame bürgerliche Macht tritt dem neuen Abt Ludwig II. von Mansbach entgegen, der sich im Jahre 1327 zu einem Sühnevertrag mit der Stadt bereit finden muss. So muss er sich sogar seine wichtigsten Hoheitsrechte, nämlich Zoll, Münze und Geleitsrecht, von den Bürgern bestätigen lassen, wenngleich sich die betreffende Urkunde wie ein Gelöbnis der Bürgerschaft anhört. Aber auch Streit zwischen den Handwerkern selbst hat es gegeben. So mussten etwa die Leineweber ihr Brot saurer verdienen als die Wollweber. Gegen geringen Lohn verwebten sie den meist selbst angebauten und verarbeiteten Flachs, was eine mühsame Arbeit war. Sie versuchten deshalb, wenigstens ihre Einnahmen durch die Herstellung von Stoffen zu verbessern, die aus Wolle und Leinen gemischt waren. Damit kamen sie aber schon in den Interessenbereich der Wollweber, besonders aber dann, wenn sie gelegentlich für den eigenen Bedarf oder für besondere Kunden reinwollene Tuche herstellten oder das Färben der von ihnen hergestellten Tuche ausübten, was die Wollweber als zu ihrem Gewerbe gehörig betrachteten. Das gab wieder einmal für den Abt – es war jetzt Johann II. von Elben – die Gelegenheit, sich in städtische Angelegenheiten einzumischen und verlorengegangenen landesherrlichen Einfluss wiederherzustellen. Für ihn waren die wohlhabenderen Wollweber der wichtigere Teil der Bürgerschaft und zu deren Gunsten entschied er. Die Leineweber erhielten zwar 1343 von ihm die Erlaubnis, weißes Tuch, Distelsaat (das sind verschiedenfarbige Wollstoffe, siehe auch die Anmerkung 1 am Ende des Kapitels) und Beiderwand (grobes Zeug aus Leinen und Wolle, siehe auch Anmerkung 2 am Ende des Kapitels) zu machen, aber gerade die besonders einträgliche Färberei wurde ausschließlich den Wollwebern zugewiesen. Im Jahre 1373 kommt es jedoch erneut zu einem Streit zwischen den Gewandschneidern und den Wollwebern, wie schon weiter oben erwähnt wurde. Nachdem der „Alte und der Neue Rat“ Ludwig von Ringpach (nach Demme wahrscheinlich Rimbach) als Schiedsmann angerufen hatten, kommt es zu einem Vergleich, bei dem den Gewandschneidern, den Kaufleuten also, weiterhin der alleinige stückweise Verkauf des Tuches zugestanden wird. Desgleichen können aber auch die Wollweber Tuche jeder Art zu ihrer eigenen Verwendung herstellen und färben dürfen, wie sie es wollen. Sie dürfen es aber nur im Ganzen und nicht stückweise zugeschnitten verkaufen. Die Kämpfe zwischen Patriziern und Zünften endeten also mit einem Vergleich. Die Hälfte oder mehr Handwerker saßen neben den Patriziern auf den Bänken des Stadtrates, dem wichtigsten Gremium der städtischen Selbstverwaltung, aus dem auch die Bürgermeister hervorgingen. Beide Gruppen stellten wohl je einen Bürgermeister, wie schon in der Urkunde von 1355 (s. o.) erwähnt wurde. Aber im Jahre 1371 wird daneben immer noch ein vom Abt ernannter Schultheiß erwähnt und 1465 verkauft Abt Ludwig III. das ihm zustehende Recht zur Besetzung des Schultheißenamtes an die Gebrüder Gerwig. Allerdings betrachteten sich nicht alle Zünfte untereinander als ratsfähig, wie der Streit zwischen Wollwebern und Leinewebern zeigte. In vielen deutschen Städten erfolgte der Übergang von einer patrizischen Verfassung zu einer zünftlichen Verfassung mit Aufständen und Blutvergießen. So ließen in Magdeburg die Geschlechter im Jahre 1301 zehn Aldermänner der Zünfte auf dem Marktplatz verbrennen und in Köln ließ man im Jahre 1371 nach der „Weberschlacht“ 33 Weber sofort hinrichten und später noch mehr. Von solch heftigen Kämpfen hören wir in Hersfeld jedoch nichts. Es ging hier alles „geruwelich“ zu, wie den Urkunden immer wieder betont wird. Das bedeutete soviel wie „geruhelich“, geruhsam oder ohne gewaltsame Störungen. „Hier waren die Gegensätze zwischen den einzelnen Klassen der Bürgerschaft nie sehr scharf gewesen, weil sie oft genug im Kampfe gegen den rückständigen Geist und die Übergriffe der Klosterherren zur Wahrung ihrer gemeinsamen städtischen Interessen hatten zusammenstehen müssen und auch ein außerordentlicher Reichtum sich nicht gebildet hatte.“

Anmerkung 1: "....... Die Färberdistel wird vor allem für das aus den Samen gewonnene Färberdistelöl angebaut, das sehr hohe Anteile an der mehrfach ungesättigten Linolsäure und an Vitamin E hat. Daneben wird das Öl für die Herstellung von Farben und Lacken verwendet, die Pressrückstände (Presskuchen ) dienen als Tierfutter. Die Ölverarbeitung ist der von Sonnenblumenöl sehr ähnlich. Aus den Blütenblättern können Farbstoffe gewonnen werden, und zwar das rot färbende Carthamin (ein Benzochinon) und der gelbe Blütenfarbstoff Carthamidin. Der wasserlösliche Farbstoff wird durch Auswaschen aus den Blütenblättern gelöst, dann getrocknet und das Saflorrot in alkalischer Lösung gewonnen. Seide, Wolle und Baumwolle lassen sich je nach Farbmenge rosa, kirschrot, braunrot oder braungelb färben, der gelbe Farbstoff ist allerdings nicht lichtecht. ......" (aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie, Stand vom 17. November 2013)

Anmerkung 2: „Beiderwand (auch Halbwollenlama) ist ein schweres Mischgewebe in Leinwand- oder auch Köperbindung. Beiderwand war insbesondere im 19. Jahrhundert ein verbreitetes Material für bäuerliche Trachten. Vor allem in Hessen und im Odenwald wurde es für Faltenröcke, Kniehosen und Mäntel verwendet, war aber auch in Nord- und Süddeutschland verbreitet. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Rohmaterialien für Stoffe noch weitgehend von der ländlichen Bevölkerung selbst versponnen und gewebt wurden, wurde Beiderwand aus Kettfäden von Leinen (Flachs) mit wollenen Schussfäden hergestellt. Im Laufe der Zeit wurde das Leinen weitgehend durch importierte Baumwolle ersetzt. Beiderwand wird nicht gewalkt, oft nicht einmal gewaschen, sondern nur (ohne vorgängiges Rauen) glatt geschoren.“ (aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie. Stand vom 31. März 2013)




vorheriges Kapitel

Hauptseite

nächstes Kapitel